Wochenendseminar zu Themen der menschlichen Geschichte 2017

Aus Wiki der Zukunftswerkstatt Jena
Version vom 25. November 2017, 18:37 Uhr von Annette (Diskussion | Beiträge)

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Wir haben die Tradition, uns ab und an mal ein Wochenende lang zu treffen, um interessierende Themen zu diskutieren. Mal mit Gästen, mal nur unter uns und auch inhaltlich bereiten sich meist mehrere vor, um anderen dann von ihren (Lektüre-)Erlebnissen zu berichten. Für 2017 haben wir uns wieder vorgenommen, uns mit den Thema Geschichte zu beschäftigen. Das Wochenende dazu hat in der Zeit vom 27.-29.10.2017 in Milda stattgefunden. Wir werden nach und nach Informationen zu den einzelnen Themen hier einstellen.


Wir begannen am Freitag abend mit einem Film

  • "Waffen des Fortschritts" Teil 1, Teil 2 (Dazu gehört noch Teil 3, den wir nicht schafften, anzuschauen)

Die Inhalte dieser Filme können im Wesentlichen auch nachgelesen werden in dem Buch von Jared Diamond „Arm und Reich“

Am Samstag begann Tanja, über den Zusammenhang der menschlichen Geschichte mit dem Klima zu berichten. Dazu zeigte sie den Film:

  • Tanja (Zusammenfassung): Mit dem Ende der Eiszeit begann das Holozän, eine seit 10000 Jahren anhaltende Phase mit sehr stabilem und warmem Klima. Dies ermöglichte die Entwicklung der Landwirtschaft in vielen verschiedenen Regionen der Erde und die Entstehung der ersten Hochkulturen.
    Dass das Klima eine wichtige Rahmenbedingung menschlicher Geschichte ist, sieht man im weiteren Verlauf: während des Holozäns gab es kleine Klimaschwankungen, bei denen sich die Temperatur um etwa 1C erwärmte oder abkühlte und sich die Niederschlagsverteilung veränderte. Dies hatte Auswirkungen auf menschliche Kulturen weltweit.
    Die Blütezeit des Römischen Reiches liegt in einer Warmzeit mit kräftigen Niederschlägen, wodurch Nordafrika zur Kornkammer des Römischen Reiches wurde. Der Niedergang des Römischen Reiches geht einher mit einer Abkühlung, die zu Dürre in Nordafrika und zu kalten Wintern und heftigen Niederschlägen in Europa führte. Die Folgen waren eine Versorgungskrise im Römischen Reich, die Völkerwanderung, eine große Pestepidemie - das düstere Mittelalter. Das Hochmittelalter war wieder ein Klimaoptimum, das Wetter war über Jahre stabil mit warmen Temperaturen und genügend Niederschlag. Das ermögliche Planbarkeit, es entstanden viele neue Entwicklungen in der Landwirtschaft und die Gesellschaft erlebte eine generelle Blütezeit.
    Mit der kleinen Eiszeit kam eine erneute Abkühlung mit vielen Unwettern und Missernten. Es gab viele Hungersnöte, erneute Pestwellen, Hexenverfolgung und Krieg, gleichzeitig aber auch einen Aufstieg der Vernunft und Wissenschaft. Seitdem haben wir wieder ein relativ stabiles Klima, das die Industrialisierung und ein weltweites Bevölkerungswachstum ermöglichte. Inzwischen greifen wir aber so stark ins Klima ein, dass der kommende Klimawandel eine größere und schnelle Klimaänderung bedeutet als alle natürlichen Schwankungen der letzten 10000 Jahre. Wir können aus der Geschichte sehen, dass die Menschheit schon viele Klimaveränderungen überstanden hat, dies ging aber oft einher mit dem Untergang bestehender Verhältnisse, die der Krise nicht gewachsen waren.
  • Kommentar Annette: Es ist schon erstaunlich, dass in den meisten historischen Texten, z.B. zum Mittelalter die klimatischen Veränderungen nur an den Stellen erwähnt werden, wo es absolut unabdingbar ist (die "kleine Eiszeit" ist z.B. bekannt) und sonst ignoriiert werden. Tatsächlich bedingen das Klima und andere natürliche Bedingungen die Lebens- und Produktionsweise der Menschen. Bisher dachten viele, dass sich die Menschheit kraft ihrer Wissenschaft und Technik von dieser Abhängigkeit weitgehend lösen könne - aber leider sind wir gerade dabei, vorhandene Selbstregulierungsnetzwerke in Klima und Ökologie zu zerstören (wobei das Problem nicht Wissenschaft und Technik an sich sind, sondern diese in einer auf Profit orientierten Gesellschaft)...

Danach berichtete Annette über Dorfgemeinden in Deutschland im Mittelalter.

  • Präsentation
  • Annette: Bei der Diskussion über die "Einhegung der Allmende" in Vergangenheit und Zukunft entstand bei mir die Frage, welche Allmenden/Commons in Europa, speziell Deutschland eingehegt/enteignet worden sind. Letztlich war der Grund und Boden im Feudalismus bereits feudales Grundeigentum... Ich fand dann ein Buch, das mir die Augen öffnete für etwas, was ich - wie viele andere - vorher übersehen hatte...

Ralf berichtete dann über ein relativ unbekanntes Buch des bekannten Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski. Er stellte uns vor, welche speziellen Bedingungen in England zum Beginn des Kapitalismus führten.

  • Ralf (Zusammenfassung): Dargestellt wird wie einige kleine Unterschiede zu Kontinentaleuropa den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung in England bewirken, ebenso wie die Wechselwirkung mit dem Kontinent dafür ausschlaggebend war. Ausgehend von der internationalen Nachfrage nach englischer Wolle wandelt sich die englische Landwirtschaft seit dem ausgehenden Mittelalter allmählich von einer feudal geprägten Wirtschaftsweise in eine kapitalistische wobei auch der grundbesitzende Adel von dem Übergang profitiert, ja ihn wesentlich mit vorantreibt. Im Gefolge dessen dringt auch städtisches Kapital aufs Land vor, erwirbt Grundeigentum und errichtet Manufakturen, wodurch der hemmende Einfluss der Zünfte gebrochen wird. Im Ergebnis setzt sich im 16. Jhd. die kap. Wirtschaftsweise durch.
    Schockierend, aber auch irgendwie typisch für beide Gesellschaftesordnungen ist dabei, wie menschenverachtend mittels Blutgesetzgebung gegen die von ihrem Land vertriebenen ehemaligen Bauern vorgegangen wird.


  • Kommentar Annette: Es gibt ein neueres Buch von Ellen Meiksin Wood (Der Ursprung des Kapitalismus. Eine Spurensuche. 2015), das die historischen Besonderheiten in England noch stärker hervorhebt. Sie geht dabei auch auf historische Debatten zur Frage nach dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus ein. Ich finde es aber spannend, auch zu sehen, dass schon lange vorher andere zu ähnlichen Schlüssen gekommen sind. Kuczynski versucht zwar, die Grundlagen für eine „vergleichende Niedergangsgeschichte“ zu legen, betont aber auch, wie stark die regionalen Unterschiede waren, so dass eine "Theorie für alles" auf geschichtlichen Gebiet eigentlich kaum möglich ist. Für mich ergibt sich daraus vor allem die Erkenntnis, dass nicht aus allen Niedergängen etwas Neues entsteht; dass das eigentlich sogar recht selten ist, weil es von jeweils besonderen Bedingungen beruht, die sich nicht direkt auch aus den inneren Widersprüchen des untergehenden Systems ableiten lassen.

...

Am Schluss berichtete Reiner über das Buch "Wir können uns ändern" von Felix Ekardt.

  • Reiner: Bemerkungen zu Felix Ekardt – „Wir können uns ändern“ (Gesellschaftlicher Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution) oekom-Verlag München 2017
    „Wer verstehen will, was Menschen und Gesellschaften antreibt, was Wandel ermöglicht oder blockiert, darf nicht bei mangelnder Bildung oder Hirnforschung stehen bleiben. Viel wichtiger ist es, menschliches Verhalten in all seinen Facetten zu beleuchten – und das ist in hohem Maße emotional gesteuert, von Eigennutzen getragen oder von kulturellen Werten geprägt.“ (Klappentext)
    Grundsätzlich ist in dem Buch von einer „Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft“ bzw. von Nachhaltigkeit, nachhaltigem Handeln und den komplexen Bedingungen dafür die Rede. Unter Nachhaltigkeit versteht FE „ein dauerhaft und weltweit durchhaltbares Leben und Wirtschaften“ (S. 17). Als Hauptprobleme, welche die Nachhaltigkeit bedrohen sieht er den Klimawandel, die schleichende Bodendegradation, die Wasserversorgung, die Zerstörung von Ökosystemen, unzureichenden Meeresschutz und gestörte Stickstoffkreisläufe. Ursächlich dafür seien „unsere Nutzung fossiler Brennstoffe für Strom, Wärme, Treibstoff, Kunststoffe und Mineraldünger.“ (S. 17) Ekardt vertritt die These, dass, wenn alle Menschen ihr Leben umstellen und nachhaltig handeln würden (keine Flugreisen, Autofahrten vermeiden, wenig Fleisch in der Ernährung, wenig Energieverbrauch, generell weniger kaufen, …) das Klimaproblem lösbar wäre. Theoretisch zumindest. Er untersucht, welche Probleme mit einem solchen Wandel verbunden sind und unter welchen Randbedingungen er tatsächlich stattfinden könnte. Er stellt fest, dass es (zu) viele vorgefertigte einfache Erklärungen gibt, die jedoch alle der Komplexität des Problems nicht gerecht werden. Er stellt ausführlich die einzelnen Bedingungen und deren komplexe Wechselwirkungen dar und kommt zu dem Fazit, dass letztlich die gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse überwunden werden müssen um den Wandel zu einer nachhaltigen Ökonomie zu realisieren.
    Im letzten Teil des Buches gibt Ekhardt fünf mögliche Schritte an, mit denen die Transformation zumindest angestoßen werden kann. Dabei ist neben Wissensvermittlung um die Problemlage in einem zweiten Schritt politisches Handeln gefragt: So müssen Regeln für die Nutzung des Gemeinguts Klima gefunden, festgelegt und durchgesetzt werden. So könnten die Preise für nicht-nachhaltiges Handeln erhöht werden, beispielsweise durch eine CO2-Steuer. Diese zieht, wie bei einem Domino-Effekt, weitere Schritte nach sich, die letztlich zu einer nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft führen könnten.
    An dieser Stelle wird das Buch für mich unglaubwürdig. Was von politischem Handeln bezüglich des Klimawandels zu halten ist, wird aktuell (5. November 2016) bei den Sondierungsverhandlungen zu einer Regierungskoalition zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen (Jamaika-Koalition) deutlich: In einem Interview [1] lehnt das Mitglied der Verhandlungsdelegation der FDP Alexander Graf Lambsdorff die Einhaltung der von der FDP früher mit beschlossenen Klimaziele Deutschlands ab, weil dies die Wirtschaft in unzulässiger Weise beeinträchtigen würde. Ein eigentlich dringendst notwendiger Ausstieg aus der Kohleverstromung, verbunden mit einem umfassenden Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromspeicher-Technologien wird politisch verhindert, angeblich weil es zu viele Arbeitsplätze kostet. Der eigentliche Grund, dass damit die Kapitalreproduktion massiv gestört und so die Axt an die Grundlagen dieser kapitalistischen Ökonomie gelegt würde, bleibt hingegen ungenannt.
    Das Problem zeigt sich analog bei der Diskussion um eine zukünftige Verkehrspolitik, die suggeriert, dass alles so bleibt wie gehabt, nur eben mit Elektroautos, die wiederum nur mit Kohlestrom „betankt“ werden können … Und weil das dauert, werden zeitliche Grenzen für ein Ende der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bewusst nicht gesetzt – denn das könnte ja Arbeitsplätze kosten … Ein politischer Ansatz für den Beginn eines Wandels ist meines Erachtens nicht zu erwarten.
    Im Moment steuert aus meiner Sicht alles auf einen Crash zu. Das kann ein wirtschaftlicher Crash sein, weil beispielsweise ganze Wirtschaftszweige keine Absatzmärkte mehr finden oder ein durch zunehmend häufigere punktuelle Wetterkatastrophen induzierter Crash, beispielsweise durch Zusammenbruch des Versicherungs- und Rückversicherungs-Systems oder irgendein anderer, nicht vorhersehbarer Crash. In jedem Falle wird es dezentrale, lokal und regional angepasste Gegenstrategien geben müssen um das gesellschaftliche Leben zu sichern. Inwiefern dies wünschenswert demokratische und menschenwürdige Lösungen oder gewalttätige Herrschaften irgendwelcher Warlords sein werden ist dabei grundsätzlich offen.
    Als Fazit stelle ich für mich fest, dass Ekardt in seinem Buch den Problemkreis des Wandels in seiner Komplexität ausführlich beschreibt, jedoch die letztlich notwendige Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft, die mit dem Wandel unvermeidlich verbunden ist, nicht in gleicher Form herausarbeitet.